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Foto: Johannes Schubert

 

Los Marandis, ein Jahr unterwegs - ein Blick hinter die Kulissen...

Ganz schön flaue Gefühle hatten wir im Bauch, am 6. Januar 2009. Es war der Tag unseres Abflugs und wir standen mit unserem erfahrenen Radlerfreund Pascal in der Halle des Flughafens Zürich. Er versuchte uns unsere Aufregung (und Ängste?) etwas zu nehmen. Aber trotzdem: Noch IMG_0836nie waren wir länger als zwei Monate von zu Hause weg. Hatten nur zweimal zehn Tage Transalp mit dem Mountainbike als längste Radreisen auf unserem Konto zu verbuchen. Und nun hatten wir zwei Jahre vor uns. ZWEI JAHRE!!! Eine unglaublich lange Zeit. Klar kamen da Gedanken auf: "Sind wir echt gemacht, für ein solches Outdoorleben. Bei jedem Wetter 24 Stunden an der frischen Luft? Schläft es sich in unserem Alter überhaupt noch gut im Zelt auf einer dünnen Matte? Wird unsere Beziehung all den Strapazen standhalten?" Dann kamen noch die einen oder anderen kritischen Äusserungen aus dem Umfeld dazu: "Was, Patagonien mit dem Rad? Völlig ungeeignet!" Und: "Nach ein paar Monaten oder nach einem Jahr wird bei euch die Luft draussen sein, ihr werdet's sehen. Zwei Jahre sind zu lang!"Nun ja, einige haben ihre Wette schon verloren Zwinkern.

Wir liessen uns erst mal nicht gross stressen. Schliesslich waren wir eigentlich recht stolz, nur schon den Sprung ins kalte Wasser gewagt zu haben. Falls wir also irgendwo zwischen Ushuaia und Alaska das Handtuch werfen müssten, so haben wir es doch wenigstens versucht und können beruhigt wieder ins Alltagsleben zurückkehren! Uns fällt da kein Zacken aus der Krone...

 

Nun ist das erste Jahr bereits vorbei - UND???

Schon viel haben wir auf www.marandi.ch wie auch in vielen Mails von uns geschrieben. Von unseren tollen, schönen Erlebnissen, traumhaften Landschaften, lieben Leuten und vom Wind. Alles immer wunderschön ... aber klar, nicht immer war alles Friede, Freude, Eierkuchen. Logisch! Wir haben uns überlegt, ob wir auch etwas von der „Schattenseite" schreiben sollen. Interessiert das überhaupt, geht das die Öffentlichkeit was an? Nun ja, aufgrund der vielen Mails schreiben wir davon ... "wir lassen nun die Hosen runter" ;-) ... 1 Jahr Reise - ein Grund doch, dieser Sache mal genauer auf den Grund zu gehen und etwas hinter die Kulissen zu schauen ... ein Grund auch, anderen Radlerpaaren unsere Erfahrungen aufzuzeigen ...

 

Was ist eigentlich der Sinn unserer Reise?

Radfahren in Suedamerika ist natürlich eine vielleicht etwas ungewöhnliche Art zu Reisen, aber seit wann bräuchte man fürs Reisen eine sinnhafte Erklärung? Warum klettert man auf den Mount Everest? Warum überquert man im kleinen Segelboot den Atlantik? Nein, wir sind nicht von Mulege-2291zu Hause geflüchtet und nein, es ist auch nicht in erster Linie die sportliche Herausforderung; dafür gibt es andere Möglichkeiten. Der Sinn ist, dass wir unseren Traum erfüllen; ein Abenteuer um etwas von dieser grossen Welt und dessen grandiosen Naturschönheiten zu sehen und andere Kulturen und Menschen kennen zu lernen. Wir lieben unsere Schweiz über alles und immer noch ist es einer der schönsten Flecken auf Erde. Aber wir möchten nicht das ganze Leben in unserer kleinen Schweiz bleiben - wir sind nicht die einzigen auf dieser Welt. Doch warum haben wir uns auf eine Radtour eingelassen, die uns oft Strapazen, Kälte, Hitze, Schmerzen und Gejammer bereitet? Lieber ein Pickel am Po vom Fahrradsattel, als Hämorrhoiden vom Bürostuhl Zwinkern! Nein im ernst ... wir lieben den Radsport und wir sind Freunde der „langsam Reisenden". Alles, einfach alles erlebt man dadurch viel intensiver und viel näher. Und warum machen wir dies erst mit 40 Jahren? Der Drang zu gehen war einfach unaufhaltbar und wir brauchten auch eine Abwechslung vom Alltag. So nahmen wir die Ausfahrt runter vom von der Autobahn des Leben und tuckern nun in der 30er Zone herum. Eine Pause tut doch jedem gut. Man kann es glauben, was einem eine solche Reise für Energien und Kraft zurückgibt - wir platzen fast. Wir sind topmotiviert auch für neue berufliche Herausforderungen.

 

Unsere Beziehung?

Über so lange Zeit als Paar gemeinsam unterwegs zu sein, kann schon fast folterähnliche Zustände annehmen. 24 Stunden zusammen, IMG_0435nachts (meist zwölf Stunden) im engen Zelt oder Hostalzimmer eingepfercht. Alle Entscheidungen müssen gemeinsam gefällt werden. Andi: „Der Zelteingang kommt hier!" Marion: „Aber nein, dann haben wir doch den Strauch zu nahe vor dem Eingang!" Andi: „Aber ich muss Windschatten fürs Kochen haben." Marion: „Aber ich liege dann in einer Mulde!" Andi: „Trotzdem, der Zelteingang muss doch hier sein wegen dem starken Wind." Funkstille... Und dies nach einer langen Radeletappe und wir todmüde. Die Gelegenheiten sind vielfältig, die Explosionen zahlreich. Es kam auch schon mal so weit, dass der eine oder die andere gedacht hat: Schluss, aus. Ich hab die Schnauze voll, echt. Ich fahr nach Hause!!! Unser Freund Johannes kann sicher ein Liedchen von uns singen ;-).

Trotzdem sind wir auf dieser Reise aneinander gewachsen und haben uns noch besser kennen und schätzen gelernt. Mittlerweile sind wir auch als Paar ein eingespieltes Team, harmonieren je länger je besser und sind jetzt so richtig am Geniessen!

Trotz aller Schwierigkeiten die eine solche Reise mit sich bringt, es ist wunderschön zu Zweit zu radeln und zu reisen. Alle Eindrücke, Erlebnisse und Gefühle kann man teilen und dem anderen mitteilen. Und nach einem wunderschönen Tag ist aller Verdruss vergessen.

 

Unsere Gesundheit?

Zuerst grassierte das Denguefieber im Norden von Argentinien, dann die Schweinegrippe fast auf der ganzen Welt. Von beidem NL14_25blieben wir verschont. Die Malariagebiete haben wir gemieden. Die so gefürchteten Magen- Darmerkrankungen blieben bis auf eine Ausnahme aus. Vielleicht mal ab und zu eine etwas rasantere Verdauung... Nach der langen Busfahrt in México eine deftige Erkältung mit kurzem Fieber. Wir hoffen es bleibt so! Haben wir die kritischen Zonen doch eher hinter uns...
Und der Hintern?- Tja, die Hornhaut an den Füssen ist jetzt um einen Meter höher gerutscht und dank unserem super BROOKS- Sattel und den idealen Radlerhosen (CUORE) gibt's nur ab und zu bei grosser Hitze und langen Etappen kleine Scheuerstellen oder einen Pickel. Also, an unserem Hintern wird's nicht scheitern.

 

Kriminalität und andere Gefahren?

Die meisten unserer Befürchtungen haben sich nicht bewahrheitet. Das absolut Gefährlichste war der Verkehr in Peru. Da sind wir echt froh, unbeschadet durchgekommen zu sein. Das ist schon fast Krieg auf Strassen (s. Blog).
Sicher wurden wir als reiche Gringos in den kleinen Lädchen immer mal wieder etwas abgezockt. Trotzdem DSC_1434sind uns auf unserem Weg nur ehrliche Leute begegnet. So bekamen wir das im Flugzeug liegen gelassene GPS wieder zurück. Den Reisepass, den wir im Internetcafe neben dem Computer liegengelassen hatten, konnten wir zwei Tage später abholen. Auch der MP3-Player, der sich unter dem Kissen im Hostal versteckt hatte, gab die Putzfrau bei unserer Rückkehr (nach 2 Tagen in Machu Picchu) zurück.
Stets fühlten wir uns sicher, auch nachts in unserem Zelt. Klar wir haben die wichtigsten Regeln befolgt und wir hatten immer einen „gesunden" Respekt. Auch respektierten wir stets die Menschen, die in diesen Ländern leben. Aber grundsätzlich würden wir die meisten Regeln auch in der Schweiz genau so anwenden.

 

Heimweh?

Tönt wohl komisch bei erwachsenen Leuten. Aber ja, diese Zeiten gab es auch! Das Gefühl, dass man alles von zu Hause vermisst. Die Familie, Freunde, das Zuhause, Wälder, Seen, Berge, Jahreszeiten, ESSEN... Am Schlimmsten war es ungefähr nach fünf Monaten. Aber es hat sich wieder gelegt. Trotzdem freuen wir uns unheimlich wieder auf die Schweiz, unsere Lieben zu Hause, auf das MOUNTAINBIKE und die LANGLAUFSKIS.

 

Unser „Amigo" der Gegenwind:

In allen  Ländern kämpfen wir uns oft gegen härtesten Gegenwind und fragen uns manchmal schon, ob wiNL4-SignElVientor das echt so gewollt haben. JA, wir haben es freiwillig so gewählt! Also Augen zu und durch. Trotzdem, es gibt Momente, wo man sich ziemlich nervt über dem Wind, der in den Ohren ein ekliges Dauergesause verursacht. Dafür dürfen wir täglich ein paar Kalorien mehr reinfräsen und sind trotzdem muy flaquitos!

 

 

Unsere Motivation:

Immer wieder, jeden Tag von neuem die Radeltaschen packen, das Zelt abbauen, sich von Leuten, die man eben erst IMG_1703kennen gelernt hat, wieder verabschieden. Das Abschied nehmen fiel uns oft schwer ... doch „wer rastet der rostet" ... "Also auf - weiter geht's!" Das alles macht manchmal echt Mühe und nervt. Wir hatten aber immer wieder den Mut irgendwo länger zu bleiben (und die absolut liebenswerten Gastgeber dazu). So konnten wir uns richtig erholen und neue Energie für weitere Radelkilometer tanken; konnten ein Zuhause geniessen und uns einfach hängen lassen. Das ist ein wichtiger Grund, weshalb wir nach wie vor voller Power, Gwunder und top motiviert sind, auf alles was da noch kommen mag. Und - Radeln ist einfach unsere PASSION!!!

 

 

Unser Fazit nach einem Jahr

Diese Reise gibt einem viele unschätzbare Erfahrungen und Qualifikationen für das Leben. Diese Kompetenzen sind weniger technischer Natur - auch wenn man zum Experten für Schläuche flicken, Speichen wechseln, Zelt aufbauen und Stadtplan zusammenfalten wird - sondern erstrecken sich auf das Feld der "Soft Skills", dem Lieblingsbegriff aller Personalchefs und Karrierebeilagen einschlägiger Samstagszeitungen.

* Der Südamerikaradler kann von sich behaupten, sich zäh wie ein Terrier in Cusco-Lima_marandi_553anvertraute Aufgaben verbeissen zu können und sich auch durch ständig und endlos auftauchende Hindernisse nicht von diesem "Serpentinen geschwängerten, schottrigen und gegenwindigen" Weg abbringen zu lassen. Er ist zudem im Stande, Geschäftsmeetings nicht nur in Höhen von über 4000 Metern klaren Kopfes durchführen zu können, sondern diese auch durch allerlei Anekdoten von seiner Radtour aufzulockern und prekäre Situationen durch weise Sprüche mit Fahrradbezug philosophisch-gelassen zu ertragen ("Ein Platten kommt selten allein", "Man soll den Pass nicht vor dem Passschild loben", "Wer Berg sagt, muss auch Bolivien sagen").              
(*mit philosophischen Gedankengut von Johannes.)

Nach einem Jahr Lateinamerika sagen wir: "MUCHAS GRACIAS POR TODO! Estamos muy impresionados de su hospitalidad, su energia positiva y su amor. Adios!" O más: "HASTA PRONTO!!!" Wir dürfen so viel von hier mitnehmen und haben erst noch im Vorbeigehen eine Sprache gelernt.

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Seit einem Jahr geht für uns ein Traum in Erfüllung und er geht noch einmal mindestens zehn Monate weiter. Los Marandis sind motivierter denn je! "United States of America, we‘re coming!"

Marion y Andi